Mittwoch, 24. Juni 2009

Einmal am Tag eine gute Tat

Nur nicht heute und ich habe ein schlechtes Gewissen, ein sehr schlechtes.

Man stelle sich folgende Situation vor: zwei junge, voll im Saft stehende Kerle, nennen wir sie Andreas und... ich, verabreden sich, um im Proberaum zu simplen Testzwecken ein weltbekanntes Lied einer noch bekannteren Grunge-Band vollkommen ohne Zeitdruck und unverbindlich aufzunehmen. Wir treffen um 18:15 Uhr ein, merken, dass ich die Hälfte vergessen habe und beschließen, diese Hälfte aus meinem beschaulichen, etwa 5 Minuten entfernten Heim zu holen. Gesagt, getan. Auf dem Rückweg sehen wir auf der anderen Seite einen behinderten Mann im Rollstuhl und wir machen harmlose, pubertäre Späßchen über diesen behinderten Mann. Um zu unserem Proberaum zu kommen, müssen wir die Straße überqueren, was wir - gutgelaunt - auch tun. Plötzlich das Unerwartete: "Entschuldigung, Jungs?"

Wir sehen erst den Mann im Rollstuhl, dann uns an. "Kann ich euch kurz um was bitten?", sagt dieser Mann und schlagartig ist uns klar, dass er verdammt verzweifelt ist. "Könnt ihr mich ein Stück schieben? Ich kann nicht mehr.." Erst jetzt fällt mir auf, dass der Mann keine Unterschenkel besitzt. Wir zögern, stammeln. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Wir sagen, wir hätten eigentlich keine Zeit, was für sich genommen schon unverschämt, da unwahr ist. Doch dann kommt das, was den Stich mitten ins Herz bedeutet und das Gewissen ausbluten lässt. "Ich gebe euch auch 2 Euro dafür"
Spätestens hier hätten wir den Ernst der Lage erkennen und dem armen Mann helfen müssen, selbstverständlich, ohne das Geld zu nehmen. Stattdessen erfüllen wir jedes Klischee des nicht hilfsbereiten, egoistischen und herablassenden Teenagers und besitzen darüberhinaus auch noch die Dreistigkeit, auf die anderen Passanten zu verweisen, in der hilflosen Hoffnung, sich stillschweigend und doch anstandsvoll dieser unangenehmen Situation entziehen zu können. Was natürlich vollends ins Gegenteil umschlägt.
Dieser Satz ist mir immer noch peinlich: "Fragen Sie doch mal die Leute dahinten. Die helfen bestimmt." Wenn diese Leute sich für genau so hilfsbereit halten wie wir es vorher getan haben, werden sie ihm nicht geholfen haben. Zu unserer Schande kann ich das aber nicht genau sagen, da wir danach einfach weggingen. Ein enttäuscht klingendes "Trotzdem danke, Jungs" in den Ohren. Aua.

Wer nicht schon vor Abscheu weggeklickt hat, dem sei gesagt, dass ich am liebsten selbst wegklicken würde. Doch das geht wohl nicht. Diese Situation war Realität und sie ist genau so passiert, ohne dass irgendetwas unser Verhalten rückgängig oder gar wieder gut machen könnte.
Das Einzige, was uns bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Selbsteinschätzung grandios fehlgeschlagen ist und Egoismus über Zivilcourage gesiegt hat.

Das ist keine Entschuldigung, aber ich möchte wetten, dass viele Menschen genauso gehandelt hätten, wie wir. Das ist erschreckend. Und sollte nicht Alltag sein.
Wie gerne hätte ich rückblickend lieber einen Blogeintrag geschrieben, in dem ich über diesen furchtbar netten und interessanten Mann im Rollstuhl erzählt hätte, der uns schüchtern um Hilfe bat, und dem wir diese Hilfe sofort gewährten. Wir wären ins Gespräch gekommen, er hätte uns vielleicht aus seinem Leben erzählt und wir ihm aus unserem. Das wäre fantastisch geworden. Erkenntnisreich. Eine Erfahrung, die man nicht oft macht.

Es war eine Chance, sich zu beweisen. Zu zeigen, dass man doch was gelernt hat, bis jetzt, mit seinen 19 Jahren. Stattdessen ist einfach alles schiefgegangen. Aua.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen